Crisis Talk am 30. Mai 2018

Das Interesse am 8. Crisis Talk zur Krise des Multilateralismus und deren Auswirkungen auf die EU-Sicherheitspolitik war besonders groß. Mit 170 Personen verzeichneten die Veranstalter – der Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt, die Vertretung des Landes Hessens bei der EU, das Europa-Büro der Leibniz-Gemeinschaft und der Frankfurter Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ - die höchste Anzahl an Anmeldungen in dieser Reihe bisher. Dies zeigt zum einen, dass sich die Crisis Talks als Veranstaltungsformat im politischen Brüssel immer weiter etablieren. Zum anderen war dies auch der besonderen Aktualität des Themas geschuldet, auf die Friedrich von Heusinger, Leiter der Vertretung des Landes Hessens bei der EU, in seiner Begrüßung hinwies, sowie dem erneut hochkarätig besetzten Podium.

Das Impulsreferat wurde von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff gehalten, der geschäftsführenden Direktorin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und Sprecherin des Leibniz-Forschungsverbunds „Krisen einer globalisierten Welt“. An der anschließenden Diskussion nahmen mit Oliver Rentschler, dem stellvertretenden Leiter des Kabinetts von Federica Mogherini, und Mag. Alexander Kmentt, dem Botschafter und ständigen Vertreter Österreichs im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der EU, zwei hochrangige Vertreter der EU Außen- und Sicherheitspolitik teil. Rebecca C. Schmidt, die Geschäftsführerin des Frankfurter Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, führte als Moderatorin durch die inhaltlich dichte Diskussion.

Nicole Deitelhoff eröffnete ihren Impulsvortrag mit einer Einordnung des Themas in den größeren Kontext. Zwar offenbare die Krise internationaler Sicherheitskooperationen eine besondere Dramatik, weil es hier um Krieg und Frieden gehe, aber diese sei eingebettet in eine umfassende Krise des Multilateralismus, die Europa zwinge, sich in vielerlei Hinsicht neu zu positionieren. Wie die folgende Diskussion zeigte, ist der Multilateralismus nicht nur als eine Kooperationsbeziehung zwischen drei oder mehr Staaten zu verstehen, sondern er stehe, wie Alexander Kmentt hervorhob, vielmehr für das Prinzip einer regelbasierten Ordnung. Gerade der Verlust an Bindungskraft internationaler Regeln und Übereinkommen – sei es in der Klima-, der Handels- oder der Sicherheitspolitik – sei daher die Hauptursache der gegenwärtigen Krise.

Wie Alexander Kmentt weiterhin betonte, habe insbesondere Europa eine besondere Verantwortung dafür, für die regelbasierte Ordnung einzustehen, da die EU auf deren Grundprinzipien basiere. Oliver Rentschler stimmte dem grundsätzlich zu, traf aber auch interessante Differenzierungen. So sei der Druck auf die liberale Weltordnung von außen, wie er etwa China zugeschrieben werde, keine grundsätzliche Gefahr für diese Ordnung. China nutze vielmehr deren Prinzipien für die Verfolgung eigener Interessen. Im Hinblick auf die interne Infragestellung der regelbasierten Ordnung, die alle Podiumsteilnehmer als das größere Problem erkannten, stellte Rentschler fest, dass etwa der Rückzug der Trump-Administration aus dem Klimaabkommen nicht illegitim sei, da das Abkommen an sich nicht weiter durch die Vereinigten Staaten unterminiert würde. Im Fall des Iran-Deals sei dies aber anders gelagert, da hier die europäischen Staaten unter Druck gesetzt würden, sich ebenfalls aus dem Abkommen zurückzuziehen.

Das Podium diskutierte neben aktuellen Konflikten insbesondere auch institutionelle Herausforderungen. Bereits in ihrer Einführung warf Rebecca C. Schmidt die Frage auf, inwieweit die bewährten Kooperationsformate der EU noch geeignet seien, auf die Vielzahl und die Diversität der gegenwärtigen internationalen Konflikte zu reagieren. Nicole Deitelhoff argumentierte, dass für die Lösung vieler dieser Probleme nicht 28 Staaten gebraucht würden, sondern vielmehr eine kleinere Gruppe von Staaten, die bereit sei, voranzuschreiten und auch die Kosten zu tragen. Alexander Kmentt und Oliver Rentschler bezogen sich in der Folge vor allem auf die gegenwärtig häufig diskutierten anlassbezogenen, minilateralen Formate und betonten, dass diese weniger eine Gefahr für die europäischen Institutionen bedeuteten, sondern diese vielmehr effektiv ergänzten.

Für die Zukunft des Multilateralismus zeichnete keiner der Podiumsteilnehmer ein grundsätzlich düsteres Bild. Zwar sei gegenwärtig ein Unbehagen spürbar, es komme aber eben darauf an, wie Oliver Rentschler hervorhob, analytisch zu unterscheiden. Dies bedeute unter anderem, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten zukünftig flexibler agieren müssten. Die Kooperation mit den Vereinigten Staaten sei zwar keine Selbstverständlichkeit mehr, aber die aktuellen Problemfelder ließen sich auch mit wechselnden Partnern bearbeiten und lösen, sei dies etwa mit China, in Fragen des Klimas, oder auch Russland, in der Bekämpfung terroristischer Bedrohungen. Was es brauche, seien Entscheidungen von Fall zu Fall und eine grundsätzliche Offenheit für neue Partnerschaften und Modelle unter Einbeziehung der europäischen Werte.

Die "Crisis Talks" gehen systematisch und entlang konkreter Herausforderungen der Frage nach, wie Europa mit seinen aktuellen und vergangenen Krisen umgeht, was die Chancen der Krisen sind, und was man aus der Bewältigung vergangener Krisen lernen kann. Die Vortragsreihe "Crisis Talks" wird seit Juni 2015 vom Leibniz-Forschungsverbung "Krisen einer globalisierten Welt" regelmäßig in der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel veranstaltet.