Crisis Talk am 15. Mai 2019

Thema des 11. Crisis Talks war eine Krise, die für lange Zeit aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden war. Die Bedrohung durch Nuklearwaffen schien sich nach dem Ende des Kalten Krieges erübrigt zu haben. Das Netz aus bi- und multilateralen Verträgen und Institutionen, welches die Verbreitung eindämmen und der Einsatz von Nuklearwaffen verhindern soll, galt lange als stabil. Doch die Stabilität dieser nuklearen Ordnung ist alles andere als garantiert. Es mehren sich die Anzeichen einer Krise dieser Ordnung. Alexander Lorz, der Kultusminister des Landes Hessen, wies in seiner Begrüßung auf die „brennende Aktualität“ dieses Themas hin, welche in der Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen werde.

Ein zentraler Diskussions-punkt war die Verantwortung Europas in dieser Krise. Das Problem bestehe vor allem darin, so Christopher Daase, dass sich die EU-Mitgliedsländer in der Nuklearwaffen-problematik nicht einig seien und daher auch nicht mit einer Stimme sprechen könnten. Dieser Punkt wurde auch in den Fragen des Publikums aufgegriffen. Von Europa müsste eigentlich erwartet werden, so eine Forderung, die bestehende Ordnung zu stabilisieren, was aber keineswegs der Fall sei. Elizabeth Konstantinova konnte dem nicht grundsätzlich widersprechen, bemühte sich aber um eine differenziertere Sichtweise, indem sie auf die vielen kleinen Erfolge hinwies, die im Rahmen der europäischen Institutionen durchaus erreicht wurden.

Christopher Daase (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) verlieh der Krise in seinem Impulsreferat präzisere Konturen: „Die zur Zeit des Kalten Krieges und kurz danach geschlossenen bilateralen Rüstungskontrollverträge werden gekündigt oder laufen ohne Aussicht auf Verlängerung aus. Die multilateralen Verträge zur nuklearen Nichtverbreitung oder Beendigung nuklearer Testexplosionen befinden sich in der Krise oder werden nicht ratifiziert. Damit drohen Beschränkungen nuklearer Rüstung, Transparenz- und Verifikationsvereinbarungen hinfällig zu werden und einer neuen Rüstungsdynamik Platz zu machen.“  Im Anschluss an das Referat, welches die Brisanz des Themas verdeutlichte, zugleich aber auch Handlungsoptionen aufzeigte, folgte wie immer eine moderierte Diskussion. Mit Tytti Erästö (Stockholm International Peace Research Institute) und Elizabeth Konstantinova (Europäischer Auswärtiger Dienst) konnten Vertreterinnen aus Wissenschaft und Praxis für die Teilnahme an dem Panel gewonnen werden.

Mit Blick auf die grundsätzliche Frage, was angesichts der Krise der nuklearen Ordnung zu tun sei, legte Tytti Erästö sich fest, dass es viel besser sei, die bestehende Ordnung zu reparieren als zu versuchen, eine neue zu kreieren. In diese Richtung argumentierte schließlich auch Christopher Daase. Die EU müsse beispiels-weise eine geeinte Position zum Atomwaffenverbotsvertrag entwickeln und nicht so tun, als gäbe es ihn nicht. Dieser Vertrag, der das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen anstrebt, wurde gegen den Willen der Atomwaffenstaaten geschlossen und hat zu einer Spaltung nicht nur der europäischen Staaten geführt. Diese Spaltung müsse überwunden werden: „Anstatt dem Druck der USA (und der NATO) nachzugeben und den Atomwaffenverbotsvertrag als unvereinbar mit dem Nichtverbreitungsvertrag anzusehen, sollten die Staaten nach Gemeinsamkeiten suchen und Brücken zwischen den Mitgliedsstaaten bauen“, so Christopher  Daase.

Insgesamt endete dieser Crisis Talk auf einer eher nachdenklich klingenden, denn auf einer optimistisch gestimmten Note. Dies zeigten auch die vielen Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer, die von einer hohen Fachkenntnis und auch kritischen Inter-ventionen und Appellen geprägt waren. Die Kooperationspartner der Hessischen Landesvertretung, des Europabüros der Leibniz Gemeinschaft, des Exzellenzclusters Normative Ordnungen und des Leibniz Forschungsverbundes „Krisen einer globalisierten Welt“, die die Crisis Talks gemeinsam veranstalten, boten damit einmal mehr einen Rahmen für den informierten Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, der im besten Sinne der Form eines Dialogs entspricht und von dem beide Seiten mit neuen Erkenntnissen profitieren.

Die "Crisis Talks" gehen systematisch und entlang konkreter Herausforderungen der Frage nach, wie Europa mit seinen aktuellen und vergangenen Krisen umgeht, was die Chancen der Krisen sind, und was man aus der Bewältigung vergangener Krisen lernen kann. Die Vortragsreihe "Crisis Talks" wird seit Juni 2015 vom Leibniz-Forschungsverbund "Krisen einer globalisierten Welt" regelmäßig in der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel veranstaltet.