Europas Rolle in der Welt: Wertegeleitete Außenpolitik im Lichte globaler Krisenbewältigung
Crisis Talk am 23. Januar 2024
Von der Kunst des Erreichbaren: Wertegeleitete Außenpolitik in der Krise
Kann sich die EU eine wertegeleitete Außenpolitik noch leisten? Diese Frage stellte Nicole Deitelhoff angesichts zweier Jahrzehnte multipler Krisen und aktueller Konflikte, die das normative Projekt Europa stark herausfordern.
In ihrem Impulsvortrag im Rahmen des 27. Crisis Talks zum Thema „Europas Rolle in der Welt: Wertegeleitete Außenpolitik im Lichte globaler Krisenbewältigung“ lieferte Deitelhoff eine differenzierte Antwort. Werte müssten im Rahmen des Erreichbaren bewertet werden, zugleich müsse wieder offensiver für die europäischen Werte geworben werden. Im globalen Krisenmanagement komme es aber darauf an, auch offen für Kooperationspartner zu sein, die europäische Werte eben nicht teilten.
Die Union steht scheinbar vor einem Dilemma. Zwar sollen Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte die Außenpolitik leiten. Zugleich ist Europa mit einer Mehrzahl von Krisen und Kriegen konfrontiert, wie Stefan Kroll in seinem Grußwort betonte, die nicht allein durch Allianzen von Demokratien zu bewältigen sind. Die jüngsten Lieferungen von Rüstungsgütern an Saudi-Arabien liefern ein illustrierendes Beispiel hierfür. Ganz sicher, so die Abgeordnete des Europäischen Parlaments Hannah Neumann, ist Saudi-Arabien keine „lupenreine Demokratie“, aber für die Sicherheit Israels eben ein wichtiger Partner.
Hannah Neumann beschrieb die Unterscheidung einer werte- und einer interessengeleiteten Außenpolitik als eher akademisch, da es letztlich in der Politik um Ziele gehe, die die jeweiligen Akteure erreichen wollten. Diese seien mal mehr, mal weniger als an Werten orientiert zu beschreiben. Dem ließe sich auch aus akademischer Perspektive leicht folgen, wäre der Begriff der „wertegeleiteten Außenpolitik“ nicht dem politischen Diskurs entnommen, weshalb es dann doch gerechtfertigt erscheint, dem akademisch einmal nachzufühlen.
Frank Hoffmeister vom Europäischen Auswärtigen Dienst zeichnete konkrete Dimensionen der wertegeleiteten Außenpolitik Europas nach. So müssten zum Beispiel alle Handelsverträge der Union eine Menschrechtsklausel enthalten, was den Spielraum für ein stärkeres Ausbalancieren von Werten und Interessen begrenze. Liefern die Menschenrechte also den Orientierungspunkt für die „roten Linien“, deren genauere Bestimmung von mehreren Personen auf dem Podium gefordert wurde?
Ganz so einfach scheint es nicht zu sein und auch hier legte Nicole Deitelhoff den Finger in die Wunde. Die Mehrheit der Staaten bildeten gegenwärtig Regierungen, die die Menschenrechte selektiv, zum Teil systematisch verletzten. Man könne nicht alle als strategische Kooperationspartner ausschließen. Ausschließen müsse man aber die, die nach innen totalitär und nach außen militärisch expansiv agierten, die Staatenordnung als solche also klar bekämpften.
Mit diesen Worten lieferte der Talk die „ehrliche Debatte“, die der Leiter der Hessischen Landesvertretung Friedrich von Heusinger zu Beginn gefordert hatte. Für ihn war die mit deutlich über 100 Gästen wieder sehr gut besuchte Veranstaltung eine ganz besondere, war es doch sein letzter Crisis Talk als Leiter der Landesvertretung.
Rebecca C. Schmidt und Stefan Kroll nutzten ihre Grußworte daher auch, um Friedrich von Heusinger für sein Vertrauen in diese Reihe zu danken. Seit 2015 kooperieren die Hessische Landesvertretung, das Forschungszentrum Normative Ordnungen an der Goethe Universität, das Europabüro der Leibniz-Gemeinschaft und das Leibniz-Forschungsnetzwerk „Umweltkrisen – Krisenumwelten“ in dieser Reihe, die sich über diese Jahre in Brüssel fest etablieren konnte. Hieran hatte von Heusinger ganz maßgeblichen Anteil.
Programm
Begrüßung
Friedrich von Heusinger
Leiter der Vertretung des Landes Hessen bei der EU
Dr. Stefan Kroll
PRIF – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung
Impuls
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff
PRIF – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung
Podiumsdiskussion
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff
Hannah Neumann
Mitglied des Europäischen Parlaments
Prof. Dr. Frank Hoffmeister
Direktor im Europäischen Auswärtigen Dienst
Moderation
Rebecca C. Schmidt
Forschungszentrum „Normative Ordnungen“ – Goethe Universität Frankfurt